Statement zur OKB-Ausstellung "Kraft"

"Kraft"

Kraft

Oberhessischer Künstlerbund - virtuelle Ausstellung im April 2020
Text Dagmar Klein, Kunsthistorikerin


Ausstellungshäuser, Galerien und Museen sind geschlossen, das Leben steht still im Zeichen der Corona-Pandemie. Alle haben ihre online-Präsentationen, wenn nicht neu erstellt, dann doch erweitert und intensiviert. Auch der Oberhessische Künstlerbund beschreitet diesen Weg, nachdem die geplante Ausstellung in der Stadtgalerie Wetzlar Ende März abgesagt wurde. Für diese Gruppenausstellung hatte man das Thema "Kraft" gewählt.


Die online-Suchmaschinen notieren bei kaum einem anderen Wort so viele Bedeutungen wie bei Kraft. Vor allem bei den Komposita und den Redewendungen scheint die Vielfalt unübersehbar. Fast jedem Ding kann offenbar Kraft zugesprochen werden, sei sie nun maschineller, mentaler, muskulärer oder mystischer Natur. 
Wir alle spüren derzeit die Kraft der wiedererwachenden Natur, die im Frühling den Kreislauf des Lebens farbenfroh zelebriert. Das Sonnenlicht und seine Wärme setzen elementare Kräfte frei. Das wirkt sich ebenso auf den Frühjahrsputz in Haus und Garten aus wie auf die Freisetzung von schöpferischer Kraft. 


Was verbinden die beteiligten Künstler*innen des OKB mit dem Begriff "Kraft" im Rahmen ihres Schaffens? 
Für viele ist es die Natur, die ihre wundersame Kraft entfaltet und zum künstlerischen Tun inspiriert. Das ist ganz direkt ablesbar beim Fotografen Volker Kusterer, der Blumen in ihrem Eroberungsdrang an einem Maschendrahtzaun zeigt. Andreas Rück trägt meditative Naturstudien im Dürer'schen Nahsichtduktus bei. Der Kreislauf der Natur ist Thema bei Renate Bechtholds Zeichnungen mit Apfelkern und Apfelbaum sowie bei Susanne Jakobs' Apfelbaum mit Früchten als Symbol der Hoffnung. Marion Fischer hat mit der Feder gezeichnet und abstrahierte Landschaftsgebilde geschaffen, Karin Schweikhardt zeichnet mit Ölpastell knospende Momente vom Aufwachen der Natur. 
Keramikern wie Michael Limbeck und Karl-Heinz Till steht die Kraft des Feuers beim Brennen des Tons quasi regelmäßig vor Augen. Gisela Denninghoff visualisiert Urgewalten, die ebenso tief im Menschen wie in der Erde verankert sind. Deniz Kuranels zeichnerische Abstraktionen wirken in diesem Zusammenhang wie Felsbrocken, die von einer großen Kraft gebrochen und verschoben wurden.
Die Druckkraft einer Maschine führt Henrik Wienecke vor Augen, mit einem zum Quader gepressten Tank, der eine ganz eigene Ästhetik entfaltet. Eine alte Holztür hat Dieter Hoffmeister mit handwerklicher und geistiger Tatkraft zu einer mehrfach geknickten Skulptur gemacht, die in ihrer Wirkung filigran und kraftvoll zugleich ist. Hans-Jürgen Hädicke geht in den Bereich Physik, installiert die Senkrechte eines Lots und zeigt das Ergebnis von Krafteinwirkung im Porzellanbruch. 


Paulina Heiligenthal hielt auf einer Iranreise die Auswüchse der petrochemischen Anlagen fest, reflektiert über die daraus gewonnene Energie und Krafterzeugung. Während Renate Donecker in ihren Collagen farbenfroh-heitere Weltbilder gestaltet, thematisiert Dagmar Bolterauer die Gewalt des Nine-Eleven-Terrorangriffs in bedrohlich-dunklen Strukturen. Von Menschen ausgeübte Gewalt sind Thema bei Norbert Grimms Detonationsarrangements und Auto-Crash-Fotos. Auf andere Weise gestaltet auch Paul Hess das Thema Gewalt in seiner Fotoserie: ein toter Vogel rahmt Aktivitäten von Besetzung, Räumung und Abholzung eines Waldes.


Körperliche Kraft in der Polarität von Anspannung und Entspannung beim Sport hat Werner Braun in Zeichnungen festgehalten, während Wennemar Rustige fasziniert ist vom Spitzentanz, in dem die Leichtigkeit in der Wirkung mit hohem Krafteinsatz erzielt wird. Das Gegenteil, nämlich Auszehrung und Kraftlosigkeit scheinen in Marina Cereas Körperzeichnungen auf.
Ganz in die Welt der Kunstmittel führt Katja Ebert-Krüdener. Als Farbfeldmalerin beschäftigt sie sich schon immer mit der Leuchtkraft der Farbe, stellt Licht und Schatten einander gegenüber. Ihre Landschaftsfotografien taucht sie durch Überarbeitung in geheimnisvolle Atmosphären, die fast magisch wirken.


Man kann der Kunst auch prophetische Kraft zubilligen. Anne Held kreierte die Erde als Trümmerfeld, aus dem etwas Unerwartetes, eine fremde Kraft hervorbricht. Und Ria Gerth symbolisiert mit ihrer gegossenen Stubenfliege, dass Kraft relativ ist und nicht von Größe abhängt. Was wir alle derzeit erleben mit dem Corona-Virus, dessen Durchschlagskraft die bisherigen Regeln unseres Zusammenlebens machtvoll auf die Probe stellt.